März 2020

'Passion'

  • von Vanessa von Wendt, Falkensee
  • Acryl und Kohle auf Leinwand
  • 162 x 130 cm, 2018

Vanessa von Wendt ist gebürtig aus Göttingen und studierte in den Jahren 2005 – 2010 Freie Kunst im Fach Malerei an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Prof. Markus Lüpertz.

Im zurückliegenden Februar zeigte sie auf Einladung der Projektgruppe „Frauen bewegen Kirche“ des Dekanats Göttingen dieses Werk in der Galerie „Alte Feuerwache“ in Göttingen als Teil Ihrer Ausstellung „Talita Kum“.

Auf monochromem, tiefschwarzem Grund entfaltet sie in feiner Kohlezeichnung klar konturiert, eine Kreuzigungsszene, die in blassen warmen Farbtönungen von Grün, Gelb und Orange aufleuchtet. Zwei Menschen, ein Junge und ein Mädchen, bzw. eine junge Frau, sitzen bzw. knien zu Füßen des Gekreuzigten, der in Untersicht am Kreuz hängend, den Kopf weit nach oben gereckt hat. Die Kreuzinschrift „INRI“ weist ihn klar als den von uns Christen bekannten Erlöser aus. Vom Unterleib Christi zu den Armen der Frau, die zunächst an eine Maria Magdalena erinnert, zieht sich ein perlmuttartig anmutender Lichtschimmer hin, dessen Aufstrahlen nach der Lichtquelle suchen lässt, und so auf den Schöpfergott, das ungeschaffene Licht verweist.

Die obere Hälfte des Bildes wird wesentlich mitbestimmt durch einen Schwarm lebendig auffliegender Vögel, die die Personengruppe umkreist, als ob sie eine Futterstelle gefunden hätten. Schließlich bleibt der Blick an einem flatternden, scheinbar nach oben schwebenden Tuch hängen, das die Blickrichtung des Gekreuzigten nach oben verstärkt und den Hinweis auf die verborgene Lichtquelle noch zusätzlich unterstreicht. Es kann in gleicher Weise auch als Herabschweben gesehen werden.

Die faszinierende Bildkomposition verwandelt die auf den ersten Blick dunkle Kreuzigungsszene biblisch tiefgründig in ein Oster-, ja ein Pfingstbild. Auch durch die Erinnerung an den im Augenblick des Todes Christi zerrissenen Tempelvorhang, der bei den Synoptikern Matthäus, Markus und Lukas, der zum Glaubensbekenntnis des Hauptmanns bzw. der Wächter der Hinrichtungsstätte führt, wird das Bild zu einer Einladung zu dem Gekreuzigten aufzublicken wie die junge Frau. Sie erinnert mit ihren sehnsuchtsvoll ausgestreckten Armen an Maria von Magdala, die den auffahrenden Herrn am liebsten festhalten würde, was dieser aber zurückweist (Joh 20,17). Demgegenüber bleibt der am Boden sitzende Junge, trauernd sein Gesicht in den Armen verbergend, noch von der Dunkelheit der Todes bestimmt und umfangen.

Die Bildschichten des Vorder- und Hintergrundes sind ein wichtiges Stilmittel, das die Künstlerin hier bewusst einsetzt. Vanessa von Wendt spielt künstlerisch mit dem durch die Leinwand vorgegebenen Malgrund und den darauf entstehenden Schichten: sie mischt gekonnt die mit feiner Hand auf schillernde Farbgrundierung der Leinwand gezeichneten Kohlezeichnungen mit deckender monochromer Malerei und erreicht so gleichzeitig, dass der Hintergrund in den Vordergrund tritt. Bild- und Sinnebene ergeben und erhellen sich durch ihre Verflechtung. Es erinnert ein wenig an die Wachsschabetechniken, die viele von uns in ihrem schulischen Kunstunterricht kennengelernt haben; bei Vanessa von Wendt allerdings muss der Malprozess präziser geplant sein. Bei ihr ist die dunkle Farbschicht die letzte, der Arbeitsvorgang geht also genau umgekehrt vonstatten.

Ein weiteres Kennzeichen, das viele ihrer letzten Gemälde verbindet, ist die Gestaltung im Stil einer Ornament-Malerei, wie sie auf Gobelin-Rahmungen der Renaissance begegnen. In dieser Manier gelingt der experimentierfreudigen Künstlerin eine Bildgestaltung von einzigartiger Ausgewogenheit. Eine zusätzliche Nebenwirkung ist die damit vermittelte Assoziation der Kostbarkeit, des Wertigen. Es sei ihr „wichtig, an einem Bild länger zu arbeiten, sich länger damit zu beschäftigen, daher bevorzuge sie heute komplexere, aufwendigere Malprozesse“.